Deutschland geht es gut. Sagt Angela Merkel. Deutschland hat vor, während und nach der Krise alles richtig gemacht. Sagen die meisten Medien. Die Ursache der Krise war die hohe Staatsverschuldung (der anderen Länder). Sagen auch die neoliberalen Think-Tanks. Die Lösung ist die Senkung der Staatsverschuldung. Dafür zwingt jetzt vor allem die deutsche Regierung ganz Europa, eine Schuldenbremse in die Verfassungen zu schreiben. Steht im Fiskalpakt.
Falsch ist das alles. Richtig ist, dass die Explosion der Staatsschulden eine Folge der Bankenrettung und neoliberaler „Reformen“ á la Agenda 2010 (Steuersenkungen für Reiche, Deregulierung, Privatisierung) ist. Diese Umverteilung von Unten nach Oben hat auch die dem Kapitalismus immante Krisentendenz befeuert und „überschüssiges“ Kapital in den „faulen“ US-Privatsektor und Staatsanleihen von Ländern der europäischen Peripherie wandern lassen. Als klar wurde, dass die Wertpapiere gar keinen Wert hatten, griff der Staat ein und „rettete“ die Anleger*Innen auf Kosten der Allgemeinheit.
Dieser recht simple Zusammenhang wird nun – ideologisch motiviert – dadurch vernebelt, dass man Ursache und Wirkung verkehrt und die Staatsschulden zum universalen Hebel zur Lösung aller Probleme erklärt. Institutionalisiert durch Schuldenbremse, Fiskalpakt und Troika wird nun über das Vehikel „Staatsverschuldung“ ganz Europa genau die (Austeritäts-)Politik verordnet, die in die Krise geführt hat und diese dadurch weiter verschärft.
Ganz so als hätte der Sozialstaat in Form von Pflegekräften, Studierenden und Suchtberater*Innen „über seine Verhältnisse gelebt“ und dadurch die Weltwirtschaftskrise ausgelöst, wird nun auch in Hamburg versucht, den gesamten öffentlichen Bereich durch die von der Schuldenbremse verordnete „0,88“ bis 2020 real um ca. 20% zu kürzen. Damit ist das „Argument Schuldenbremse“ eine Reaktion auf den durch die massiven europaweiten Proteste hervorgerufenen Legitimationsverlust neoliberaler Politik im Rahmen der Krise und zeigt in ihrer Starrheit und Brutalität die Perspektivlosigkeit der Herrschenden. An der Uni bedeutet sie: Stärkere Drittmittelabhängigkeit (also von Geldern der Privatwirtschaft), inhaltliche Verengung, sinkende Anzahl von Studierenden, heruntergekommene Gebäude, verschlechterte Arbeits-, Forschungs-, Lehr- und Studienbedingungen. Entgegen dieser Degeneration haben wir an der Uni Hamburg durch die Studienreform eine Entrestriktionierung (Fristen und Anwesenheitspflicht abgeschafft) und Belebung gesellschaftskritischen Lernens (z.B. durch Projektstudium) entwickelt, sodass Studieren wieder verstärkt als Aneignung der Welt zur gemeinsamen Verbesserung verstanden wird und Wissenschaft als Analyse der Verhältnisse zur Beantwortung der großen Fragen unserer Zeit (Arbeitslosigkeit, Hunger, Klimakrise). Gesamtgesellschaftlich hat dies bereits eine erhebliche positive Wirkung, die durch mehr finanzielle Mittel ausgeweitet werden muss und nicht kaputtgekürzt werden darf.
In den Bereichen Bildung, Soziales, Gesundheit und Kultur ist es ähnlich: Gerade dort, wo trotz jahrzehntelanger struktureller Unterfinanzierung eine große Vielfalt an lebendiger, solidarischer, ideenreicher und qualitativ hochwertiger Arbeit verwirklicht wird, sind Ansätze für eine sozial-ökologische Entwicklung der Gesellschaft und damit die Lösung der Krise angelegt.
Bedürfnisorientierter Wohnungsbau in gesellschaftlicher Hand, menschen- statt profitorientierte Gesundheitsfürsorge und gesellschaftlich kritisch-eingreifende Kultur haben bzw. hätten eine ungeheure gesellschaftliche Schlagkraft.
Da der Kampf gegen die „Entwicklungsbremse“ und für eine bedarfsgerechte Finanzierung der öffentlichen Aufgaben nur gemeinsam zu gewinnen ist, haben sich die verschiedenen öffentlichen Bereiche im Bündnis gegen den Rotstift zusammengeschlossen, um der vermeintlichen Alternativlosigkeit eine Krisenlösung „von unten“ entgegenzusetzen.
„Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit. Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.“ (Antonio Gramsci, L’Ordine Nuovo, 1. Mai 1919)
Statt bloß „Service“ zur Bewältigung der Symptome (Wohnungsnot, Prüfungsstress, Bibliotheksschließung) für einige Wenige anzubieten – wobei „Waffeln für gestresste Studis“ ja nicht mal Symptombekämpfung ist – müssen sich die Verfasste Studierendenschaft und insbesondere ein progressiver AStA wieder aktiv in diesen Kampf einmischen.