Das aktuelle Bachelor-Master-System soll als Erziehung zu Konformität mit ökonomisch verwertbarem Studieninhalt davon abhalten, die gesellschaftlichen Probleme zu bearbeiten. Das macht krank und führt in eine Sackgasse. Das System soll uns nahe legen: Wenn du dich nur genügend anstrengst, leistest und dich anpasst, wirst du es schon schaffen. Jeder sei also seines Glückes Schmied? Insbesondere in der (Vor-)Weihnachtszeit kommen dazu auch noch die nervigen Fragen der Verwandten, wie es denn so mit dem Studium laufe und welche Pläne man für „später“ habe.
„Das Problem ist, dass Hipster und Studenten, oder wie man sie nennen will, sich und ihre Probleme nicht ernst nehmen. Ich fände es total interessant zu erfahren, was es für jemanden aus diesem Umfeld bedeutet, dem Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Diktat ihrer Eltern zu entsprechen.“ Maxim Drüner in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23.11.2014.
Das Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Diktat des neoliberalen Kapitalismus bedeutet für immer mehr Studierende „depressive Verstimmung“, was die Psychologische Beratung der Uni Hamburg in ihrem Jahresbericht als häufigsten Konsultationsgrund benennt. Die Verbindung von wenig inhaltlicher und struktureller Gestaltungsmöglichkeit im Studium und hohen gesetzten Anforderungen erzeugt massenhaft psychisches Leiden. Also ist es Zeit, sich ernst zu nehmen und von diesem gesellschaftlichen Problem zu berichten, anstelle sich für die angeblich unzureichende Leistungsfähigkeit zu schämen.
„Dies heißt auch, daß psychische Befindlichkeit nicht wiederum nur durch Psychisches veränderbar ist, sondern eine wirkliche Verbesserung meiner subjektiven Lebensqualität identisch ist mit der Erweiterung meiner Verfügung über die objektiven Lebensbedingungen, damit auch identisch mit meiner Bündnisbreite, mit der Möglichkeit meines Zusammenschlusses mit anderen.“ – Klaus Holzkamp, „Grundkonzepte der Kritischen Psychologie“.
Denn die eigentliche sinnvolle und menschliche Aufgabe des Studiums ist es, durch wissenschaftliche Tätigkeit gemeinsam mit anderen an der positiven Veränderung der Lebensverhältnisse mitzuwirken. An dieser Entwicklung können wir uns durch die progressive Studienreform beteiligen, hin zu gesellschaftlich eingreifendem, emanzipatorischem Studieren. Die Umwälzung ist begonnen: Viele Restriktionen (Fristen, Anwesenheitszwang, Bereich „Allgemein berufsqualifizierende Kompetenzen“) sind abgeschafft. Als nächster Schritt muss der Inhalt des Studiums neu bestimmt werden. Im UN-Sozialpakt ist dazu in Artikel 13 der Auftrag gefasst, dass Bildung „auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewußtseins ihrer Würde gerichtet sein muß“, sowie sie „jedermann ermöglichen muß, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen.“ Während das Studium oft als Last von Leistungspunkte-Lauf und Eltern-Erwartungsdruck erscheint, können wir durch Studienreform, emanzipatorische Bildung und kritische Wissenschaft dazu beitragen, dass aus der Möglichkeit eines menschenwürdigen internationalen Zusammenlebens Wirklichkeit wird. Das ist dann die nützliche Rolle der Studierenden.
„Ich möchte Student sein, um mir einmal an Hand einer Wissenschaft langsam klarzumachen, wie das so ist im menschlichen Leben. (…) Mit welchem Resultat könnte man studieren, wenn man nicht es mehr müßte! Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!“ – Kurt Tucholsky, „Ich möchte Student sein“.
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