„Ich fühle mich nicht als Elite, ich bin einer von denen, die die Chance haben zu studieren, einiges zu erkennen […] Wissenschaft als Moment der Selbstbefreiung des Menschen von unbegriffenen Mächten, das heißt Aufklärung aus dem wissen- schaftlichen Studium heraus. Und als Wissenschaftler haben wir die Aufgabe, diesen Prozeß der Selbstbefreiung des Menschen von den unbegriffenen Mächten zu forcieren und uns nicht zu Objekten anderer Mächte der Gesellschaft zu machen.“
(Rudi Dutschke, Podiumsdiskussion in Hamburg, 24. November 1967)
In der Welt ist viel los: Die neoliberale Position und Praxis – nur wer leiste und sich rechne sei daseinsberechtigt – ist brüchig. Die tiefe Krise offenbart die Notwendigkeit der Weltveränderung. Wachsende weltweite Proteste und soziale Bewegungen setzen sich ein für eine soziale, friedliche und ökologische Entwicklung der Gesellschaft. Mit dem Wirken für kritische Wissenschaft zur Realisierung des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) und ihrer bedarfsgemäßen Finanzierung statt Schuldenbremse sind wir Teil davon. Dagegen wollen rechte Nationalisten und neoliberale Ökonomen Hand in Hand die ausbeuterischen, konkurrenzhaften Verhältnisse verteidigen und dafür vermeintliche Alternativlosigkeit verbreiten. Gibt das aktuelle Studium eine Antwort darauf?
Der wachsende gesellschaftliche Bedarf an besser (aus)gebildeten akademischen Arbeiterinnen führt zum Widerspruch. Einerseits müssen immer mehr Erkenntnisse und Fähigkeiten gebildet werden, damit die Arbeit auf dem entwickelten Produktivkraftniveau realisiert werden kann. Damit steigt aber andererseits auch das kritische Potential, Einsicht in den Produktionsprozess zu erlangen, dass für diesen der Chef bzw. der Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht nötig oder gar förderlich ist. Das Bachelor-Master-Studium ist der gescheiterte Versuch der Herrschenden, diesem Widerspruch für die Bereitstellung verwertbarer Arbeitskräfte und Forschungsergebnisse Herr zu werden. Die Zerstückelung von Wissen in Modulen, Prüfungsmarathon, oberflächliche Überblicksveranstaltungen und der Wettlauf um Credit-Points und Masterplätze, stehen einer gemeinsamen Erkenntnissuche und wissenschaftlichen Diskussion für die Lösung gesellschaftlicher Probleme entgegen. Die schlau-dummen Absolventinnen gibt es nicht. Diesen Widerspruch zwischen dem Potential von Bildung und Wissenschaft als „Selbstbefreiung des Menschen“ und der Einschränkungen im Interesse der Verwertung gilt es progressiv produktiv zu machen: Ein ganz anderes Studium ist nötig!
„Mit dem Begriff der Bildung wird die Antithese zum Erziehungsprozeß entworfen; sie bleibt zunächst unvermittelt. Erziehung ist verhängt […], Bildung dagegen begreift sich als entbundene Selbsttätigkeit, als schon vollzogene Emanzipation. Mit ihr begreift sich der Mensch als sein eigener Urheber, versteht er, daß die Ketten, die das Fleisch aufschneiden, von Menschen angelegt sind, daß es eine Aussicht gibt, sie zu zerreißen.“
(Heinz-Joachim Heydorn, „Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft“, 1979)
Für die Realisierung davon gibt es an der Uni Hamburg erkämpfterweise gute Möglichkeiten. In Kritik an der Bachelor-Master-Quälerei sind studienbegleitende Modulfristen abgeschafft und die Prüfungslast reduziert worden. Es wurden alternative Lehr-Lernformen wie Projektseminare entwickelt, die studentisch (mit)gestaltet werden, und in denen es um die Lösung epochaler Schlüsselprobleme (soziale Ungleichheit, Krieg/Frieden, Ökologie, gegen Rechts) geht – im Konflikt zur Paukerei der Konformität. Das schafft Perspektive für Weiteres: Treten wir dafür ein, dass das Studium humane Antworten sucht auf die tiefe Krise – für soziale Gleichheit, sozial offene und kritische Bildungs- und Kultureinrichtungen, humanistisch bestimmte Gesundheitseinrichtungen, zivile Entwicklung und produktive Nachhaltigkeit.
Seien wir realistisch, machen wir das Unmögliche!