gehalten von Franziska Hildebrandt
(es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Anwesende,
liebe Antifaschisten und Antifaschistinnen,
als hier am 09.11.1938 die Bornplatz-Synagoge in unmittelbarer Nähe zur Universität verwüstet und geschändet wurde, hatte die Uni ihre ideologische Gleichschaltung und sog. „rassische“ Säuberung längst mitvollzogen. Schon vor 1933 hatte die Verfolgung humanistischer, linker, demokratischer und jüdischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingesetzt.
Die Studierendenschaft der Universität Hamburg hat die Installation der faschistischen Herrschaft in dieser Institution historisch mit zu verantworten. Es waren studentische Verbindungen und der NS-Studentenbund, die aktiv an der (Selbst-)Gleichschaltung der Universität sowie der Vertreibung, rassistisch und antisemitisch diskriminierter und kritischer Mitglieder mitgewirkt haben. Im Besonderen wurde die Bücherverbrennung im Mai 1933 maßgeblich aus der organisierten Studentenschaft heraus organisiert.
Wir haben als Studierendenschaft also heute eine besondere Verantwortung, mit dem Kampf für kritische Bildung und Wissenschaft für alle einen Beitrag dazu zu leisten, den Anfängen zu wehren. Dafür ist heute wie damals, in der weltweiten Wirtschaftskrise, die gleiche Würde aller Menschen ein sinnvoller Maßstab der nötigen Veränderung der Gegenwart. Wir haben daraus die Verantwortung, die Welt wissenschaftlich zu durchdringen, die aktuellen Verhältnisse in ihrer historischen Entstehung kritisch zu reflektieren, daraus Lösungsansätze und Alternativen zu erarbeiten und diese gesellschaftlich im Sinne der Allgemeinheit zu verwirklichen. So können gefährliche Wiederholungen ausgeschlossen und echte Verbesserungen begonnen werden, indem die aktuelle tiefe Krise nicht verschärft, sondern positiv gelöst wird.
Der Antisemitismus der Faschisten diente in der damaligen tiefen Krise des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens dazu, eine einfache „Lösung“ für diese vorzutäuschen. Das völlige Aufgehen-Sollen der Menschen in der sog. „deutschen Volksgemeinschaft“ mit ihrer aggressiven, feindseligen und antihumanistischen Ideologie sollte auch funktional dazu führen, soziale Konflikte zu harmonisieren, zu verdecken und sie somit zu verfestigen.
Daraus ist zu lernen, um für unsere heutige Tätigkeit Ableitungen zu treffen.
Oder mit Georg Lukács1 gesagt: „Die kollektive Verantwortung einer Nation für einen Abschnitt in ihrer Entwicklung ist etwas derart Abstraktes und Unbegreifbares, daß sie an Widersinn streift. Und doch kann ein solcher Abschnitt wie die Hitlerzeit nur dann im eigenen Gedächtnis als abgetan und erledigt betrachtet werden, wenn die intellektuelle und moralische Einstellung, die ihn erfüllte, ihm Bewegung, Richtung und Gestalt gab, radikal überwunden wurde“.
Auch heute wird zur Legitimation sozialer Ungleichheit versucht, Menschen als „minderwertig“ und „Sozialschmarotzer“ zu stigmatisieren, um von den unmittelbaren Folgen einer gescheiterten neoliberalen Politik abzulenken, die den gesellschaftlichen Reichtum radikal nach oben umverteilt, durch Vereinzelung die gesellschaftliche Rohheit fördert und damit sozialdarwinistischem Gedankengut Vorschub leistet.
Die Auseinandersetzung um die intellektuellen und moralischen Einstellungen verläuft in der Universität verdichtet ab. Aktuell versucht die sog. „Alternative für Deutschland“ durch Besinnung auf Heimat, Tradition und Nation, das tief in der Krise steckende System von enormer sozialer Ungleichheit zu legitimieren. Ihr Begründer Bernd Lucke versucht seine neoliberalen, rassistischen und sozialdarwinistischen Parolen als Professor der Universität Hamburg pseudo-wissenschaftlich zu festigen. Stattdessen müssen diese Apologeten des Neoliberalismus als Brandstifter der Krise benannt und wirkliche Perspektiven, unter anderem durch die Umverteilung von oben nach unten, und erhöhten staatlichen Investitionen erarbeitet werden. Die Gestaltung der Hochschulen als gemeinsame öffentliche Angelegenheit hat also hohe Bedeutung.
Um der Losung „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ im Hochschulbereich Wirkung folgen zu lassen, wurde 1948 vom britischen Militärgouverneur ein „Studienausschuss für Hochschulreform“ berufen. In dem sogenannten „Blauen Gutachten“ des Studienausschusses heißt es unter anderem: „Wir setzen uns von denjenigen Auffassungen ab, für welche nicht der Mensch, sondern die Forschung an der Spitze steht. Wir glauben, dass Hochschulbetrieb nur soweit gerechtfertigt ist, als er Dienst am Menschen bleibt. Dieser Dienst ist nicht auf den Studenten beschränkt, der unterrichtet und gebildet werden soll, sondern er gilt mittelbar oder unmittelbar dem ganzen Volk. Menschliches Leben ist gemeinsames Leben von verantwortlichen Personen in der Welt. Nur als Teil dieses Lebens ist die Hochschule gerechtfertigt“.
Das gibt eine klare Bestimmung vor, die im Aufbruch von 1968 zu realisieren begonnen wurde, aber durch die neoliberalen Jahrzehnte zunehmend zurückgedrängt wurde.
Mit Studiengebühren, Entdemokratisierung, Bachelor-Master-System und der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen wurden der Leistungsdruck erhöht, die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt und die Hochschulen zunehmend dem Wirtschaftsinteresse für Profit und Humankapital unterworfen.
Doch diese Politik des Neoliberalismus ist gescheitert.
Studiengebühren sind abgeschafft. Anfänge einer Redemokratisierung werden erstritten.
Die derzeitige Studienreform an der Universität Hamburg ist darauf gerichtet, an die antifaschistische Bewegung unserer KomilitonInnen von 1968 anzuschließen und damit solidarisches Lernen aller als Beitrag zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen zu ermöglichen.
Studienreform, Bildung und Wissenschaft können durch unser verantwortliches Engagement dazu beitragen, aus der Möglichkeit einer menschenwürdigen internationalen Gemeinschaft Wirklichkeit werden zu lassen und damit die Universität als Weltverbesserungsinstitution des menschlichen Lebens von verantwortlichen Personen in der Welt zu realisieren.
Das macht Hoffnung für die Auseinandersetzung mit der neoliberalen Ideologie und deren Apologeten für die progressive Entwicklung der Gesellschaft. Denn wenn die gemeinsame soziale Lage erkannt wird, gegen die Konkurrenzideologie und daraus folgende Versuche der Verschleierung, kann die bewusste Zusammenarbeit zu Verbesserungszwecken gelingen. Dabei sehen wir es als unsere gemeinsame Aufgabe, auch die heutige brandgefährliche Mischung von ökonomischer Rechenhaftigkeit, irrationaler Ideologie und Krieg alltäglich zu bekämpfen und zu überwinden.
Im Beschluss des Studierendenparlaments über den Aufruf zur heutigen Mahnwache heißt es: „Die Verfasste Studierendenschaft der Universität Hamburg erkennt aus ihrer Geschichte die Aufgabe, durch couragierte Aufklärung, mit Engagement für Bildung für alle, durch kritische Wissenschaft und als Teil internationalistischer studentischer Bewegung für soziale Bedingungen zu wirken, die Krieg und Elend aus dem menschlichen Leben bannen und gleiche Recht für alle Menschen verwirklichen helfen.“
Damit bestreiten wir den heißen Herbst, das aktuelle Protestsemester, für die Ausfinanzierung der Hamburger Hochschule zum allgemeinen Wohl.
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
1 Was Hitler den Deutschen bedeutet. In: Der Spiegel, Nr. 12/1966.